T. Bürgisser u.a. (Hg.): Die Revolte der Jungen

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Titel
Die Revolte der Jungen. Die Berichterstattung der Schweizer Diplomatie über die globale Protestbewegung um 1968


Herausgeber
Bürgisser, Thomas; Zala, Sacha
Reihe
Quaderni di Dodis
Erschienen
Bern 2018: Diplomatische Dokumente der Schweiz (DDS)
Anzahl Seiten
142 S.
von
Christina Späti, Historische Wissenschaften, Studienbereich Zeitgeschichte

Dass die 68er-Bewegung ein internationales, ja globales Phänomen war, hat die Forschung zu den 68er-Jahren in der letzten Zeit zunehmend herausgearbeitet. Dabei zeigte sich, dass die Bewegungen in den einzelnen Ländern etliche Gemeinsamkeiten aufwiesen, in gewissen Bereichen aber auch deutliche Unterschiede offenbar wurden. Der Protest gegen den US-amerikanischen Krieg in Vietnam fungierte zwar als übergreifende und vereinende Klammer, doch unterschieden sich lokale Themen und Forderungen sehr stark. Ähnlichkeiten gab es wiederum in der Wahl der Aktionsformen und Strategien: So wurden beispielsweise Demonstrationen und Sit-ins in etlichen Ländern praktiziert. Durch die Gleichzeitigkeit der Proteste und Ereignisse, die – zumindest in den westlichen Ländern – durch das neu aufgekommene Fernsehen direkt in die Wohnzimmer übertragen wurden, stellte sich überdies bei vielen Akteurinnen und Akteuren ein Gefühl einer gemeinsamen kollektiven Identität ein, das noch dadurch verstärkt wurde, dass die Protestierenden in den meisten Ländern Studierende waren.

Vergleichbare Beobachtungen lassen sich in den Berichten der Schweizer Diplomaten in aller Welt zu den Ereignissen im Jahr 1968 in den Ländern, in denen sie jeweils stationiert waren, gut nachvollziehen. Thomas Bürgisser, Sacha Zala und ihr Team bei den Diplomatischen Dokumenten der Schweiz konnten bei ihrem Vorhaben, die Globalität der 68er-Bewegung anhand der Berichterstattung von Schweizer Botschaftern in Aussenposten nicht nur in den westlichen Ländern, sondern auch in Asien, Afrika und Lateinamerika, aufzuzeigen, auf einen reichen Quellenfundus zurückgreifen. Da das Herausgeberteam für jedes Land nur einen Bericht ausgewählt hat, wird keinerlei Anspruch auf eine vollständige Darstellung erhoben. Die Berichte sind ausserdem in ihrem Informationsgehalt recht unterschiedlich. Während die einen nur kurz und knapp über die wichtigsten Ereignisse berichten, geben andere auch Eindrücke und Urteile der Verfasser über die Protestaktionen in ihren Empfangsstaaten preis.

Eindrücklich zeigt sich in den Berichten, wie in den verschiedenen Ländern neben der oftmals geteilten Forderung nach Reformen an den Universitäten jeweils spezifische Anliegen zum Ausdruck kamen. So protestierten etwa in Südafrika die Studierenden gegen die Apartheid-Politik an der Universität. Während in Belgien und Irland ethnische Konflikte ein Thema waren, zeigte der Schweizer Botschafter in Portugal Verständnis für den Protest der Studierenden, denn die dortigen Professoren hätten mit wenigen Ausnahmen «que des connaissances élémentaires et laissent à désirer en ce qui concerne leur formation professionelle» (S. 53).

Als Akteure machten die verschiedenen Berichterstatter überall in erster Linie Studierende aus. Eine potentielle Unterstützung der Proteste durch Arbeiterinnen und Arbeiter wurde hingegen von den Diplomaten als gefährlich taxiert, wie etwa im Bericht über Jugoslawien. Während in mehreren Berichten zu westlichen Ländern, aber auch wie hier zu Japan, der Einfluss und die «Machenschaften linksextremistischer und wahrscheinlich von der chinesischen Kulturrevolution» (S. 119) beeinflusster Studierender beklagt wurden, zeigten andere Berichterstatter ein gewisses Verständnis für den Wunsch nach besseren materiellen Lebensbedingungen, wie dies in den Ansichten des Botschafters in Ägypten zum Ausdruck kommt. Für Mexiko konstatierte der Berichterstatter ein «malaise politique et social», das weit über rein akademische Probleme hinausgehe (S. 109).

Ergänzt werden die Berichte der Botschafter, die nicht nur aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, sondern in der Regel auch wegen ihres Alters nicht gerade zu den Sympathisantengruppen der 68er gehörten, durch eine Studie einer Gruppe von Stagiaires im Eidgenössischen Politischen Department (EPD). Diese hatten beim Antritt ihrer Diplomatenausbildung am 1. Mai 1968 den Auftrag erhalten, einen Bericht über «Die Revolte der Jungen» auszuarbeiten. Das Gemeinschaftswerk der zwölf Diplomatenanwärter und einer Diplomatenanwärterin sollte dem EPD «durch ihre Nähe zum Geschehen wertvolle Informationen» liefern, wie Dominik Matter in seiner redaktionellen Notiz zur Studie festhält. Der Bericht der Stagiaires ist ein interessantes Quellendokument, da er Aufschluss über die Ansichten und Befindlichkeiten von Akteurinnen und Akteuren gibt, die zwar altersmässig, aber weder politisch noch lebensweltlich zu den 68ern im engeren Sinne gehörten. Mit ihrer Ablehnung radikaler politischer Forderungen und provokativer kultureller Aktionsformen bei gleichzeitiger Befürwortung gewisser Reformen gehörten sie typischerweise zu denjenigen, die sich später oftmals als zur «68er-Generation» zugehörig fühlen würden, ohne jemals an deren Demonstrationen und Protesten teilgenommen zu haben.

Eingeführt werden die Berichte der Diplomaten durch eine von Thomas Bürgisser und Sacha Zala verfasste Einleitung, in der diese einerseits die Quellendokumente und deren Verfasser vorstellen und andererseits «68» als globales Phänomen im Kontext des Kalten Krieges verorten. Ebenso ordnen sie die Urteile und Meinungen der Diplomaten ein, wobei sich zeigt, dass die Botschafter in den westlichen Ländern ebenso wie in den unter autoritären Regimes stehenden Staaten wie Spanien oder Brasilien ein gewisses Verständnis für die Staatsmacht und ihre Reaktionen zeigten, womit zugleich eine Tendenz zur Infragestellung der Motive der Protestierenden einherging. Mehr Solidarität mit den Studierenden liessen hingegen die Diplomaten im kommunistischen Osteuropa erkennen.

Die Dodis-Publikation stellt somit eine wertvolle Informationsquelle für alle dar, welche 1968 als Ereignis anhand zeitgenössischer Stimmen selber analysieren und sich zugleich einen (wenngleich durch die Berichte vermittelten) Überblick über die Globalität der Bewegung verschaffen wollen.

Zitierweise:
Christina Späti: Thomas Bürgisser, Sacha Zala (Hg.): «Die Revolte der Jungen». Die Berichterstattung der Schweizer Diplomatie über die globale Protestbewegung um 1968, Bern: Diplomatische Dokumente der Schweiz, 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 3, 2019, S. 488-490.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 3, 2019, S. 488-490.

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